Die Quintessenz steht für das fünfte Element, ein Äther, der den vermeintlich leeren Kosmos ausfüllt. Nachdem diese Überlegung viele Jahrzehnte lang verworfen wurde, erlebt sie gerade eine Renaissance durch japanische Physiker, die nun doch wieder von so einer mysteriösen, allgegenwärtigen Substanz überzeugt sind.
Da sich das Weltall offenbar immer schneller ausdehnt, suchen die Kosmologen schon seit Langem nach der dahinterstehenden treibenden Kraft. Um die müßige, erfolglose Suche erst mal ad acta legen zu können, wurde kurzerhand eine „Dunkle Energie“ postuliert, die so etwas macht.
Nun glaubt ein japanisches Physikerteam, einen vagen Hinweis auf einen „Fingerabdruck“ jener ominösen Kraft in Daten des Weltraumteleskops Planck gefunden zu haben, nachzulesen im Fachjournal „Physical Review Letters“. Sollte es diesen Stoff „Quintessenz“ tatsächlich geben, müssen so einige Gesetze der Physik und damit auch unser gesamtes Weltmodell neu geschrieben werden.

Ist es denn so schlimm, wenn sich das Weltall immer weiter aufbläht?
An Supernova-Explosionen, die in den 1990er-Jahren mit großer Akribie vermessen wurden, hatten Astronomen bemerkt, dass sich diese Ereignisse signifikant schneller voneinander entfernen, als dies theoretisch zu erwarten war. Sollte diese beschleunigte Ausdehnung etwa das ganze Universum betreffen?
Stellt sich gleich die nächste Frage: Welche Kraft könnte dies antreibenden? So entstand in der Tat die Mär von der Dunklen Energie. Doch kein Fachmann und auch keine Frau vom Fach konnte bislang verständlich erläutern, was das wohl für eine unsichtbare Energie sein soll und wo die herkommt.
Kann etwa die Quintessenz nun alle Zweifel ausräumen?
Nach den neuesten Überlegungen soll das Universum von einem ganz besonderen Kraftfeld durchzogen sein. Es handelt sich dabei um eine Art Anti-Gravitation. Am Anfang der Zeit war dieses Kraftfeld noch eher unbedeutend, aber inzwischen hat seine Wirkung so richtig Fahrt aufgenommen, das heißt, da ist eine Kraft herangewachsen, die alle Massen voneinander abstößt. In der Folge muss das Universum beschleunigt expandieren, eben so, wie wir es tatsächlich beobachten können.
Die oben angesprochenen Hinweise auf die Quintessenz beruhen auf der kosmischen Hintergrundstrahlung, die gern als das „Nachglühen des Urknalls“ umschrieben wird. Wenn es so etwas wie die Quintessenz wirklich gibt, müsste sich dies bei der allgegenwärtigen kosmischen Mikrowellenstrahlung in einer bestimmten Polarisation bemerkbar machen. Gemeint ist damit die Bevorzugung bestimmter Schwingungsebenen der Mikrowellen.

Diese Überlegung vor Augen haben sich die beiden japanischen Forscher die Daten des Satelliten Planck genauer angesehen und nochmals mit einer modernen Methode analysiert. Folgt man ihrer Interpretation, haben sie nun tatsächlich einen Fingerabdruck der Quintessenz ausgemacht.
Wie sehr ist die Fachwelt davon entzückt?
Nun ja, man schaut sich den Artikel mal wohlwollend an und äußert erst mal seine Kritik, wie das eben so läuft in den Wissenschaften, die gewiss nicht frei von Eitelkeiten sind. Um eine große neue Entdeckung in die Welt hinaus zu posaunen, bedarf es eines hohen Maßes an Stichhaltigkeit, aber genau dies konnten die Japaner noch nicht nachfüttern. Doch als eine erste interessante Spur zur Dunklen Energie wird die japanische Arbeit durchaus gewertet.
Immerhin fühlen sich jetzt weitere Forschungsteams angespornt, auch mal diese neue Analysemethode anzuwenden, um herauszufinden, ob die Interpretation der Japaner möglicherweise doch Hand und Fuß hat. Aber es besteht Hoffnung. Vielleicht schon 2025 soll die japanische Raumsonde LiteBIRD die Polarisation der kosmischen Hintergrundstrahlung ganz genau nachmessen. Ihre Daten könnten möglicherweise ausschlaggebend dafür sein, ob und wie wir unser Weltmodell modifizieren müssen.
Aber was würde das heißen?
Falls es jene Quintessenz, also ein universelles Feld der Antigravitation wirklich gibt, müssten viele Physik- und Kosmologiebücher neu geschrieben werden, denn die Rede wäre von einem neuen Kraftfeld, das sich mit der Zeit verändert. Dies käme einer wissenschaftlichen Revolution gleich, bei der zum Beispiel eine Gravitationskonstante postuliert wird, die zeitlich gar nicht konstant ist. So etwas hat es noch nie gegeben. Und wenn die Gravitationskonstante gar nicht konstant ist, was ist dann mit den anderen Naturkonstanten wie das Planck‘sche Wirkungsquantum oder die Lichtgeschwindigkeit? Auch das Äquivalenzprinzip zwischen schwerer Masse und träger Masse würde auf dem Prüfstand stehen. Immerhin fußt ausgerechnet Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie genau auf diesem Prinzip. Die Gesetze unserer fundamentalen Physik würden gleich einer Kette von Dominosteinen umkippen. Das kann doch keiner wirklich wollen, oder?
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